Vor einigen Monaten hatte ich eine furchtbare Zeit an meinem Instrument. Anfang Mai war alles durcheinander geraten, was durcheinander geraten kann: meine Rohre, meine Oboe und zu allem Überfluss auch mein Immunsystem.
Seit einigen Jahren schon wähne ich mich als studierte Oboistin in einer Sicherheit, die nur noch selten von solchen Phasen unterbrochen wird – aber es gibt sie noch, die Momente, in denen man sich irgendwie so fühlt, als hätte man gerade erst damit begonnen, dieses unsägliche Instrument zu lernen.
Anfang Mai, als der Jahreszeitenwechsel in vollem Gange war, war es also wieder so weit und ich hätte die Oboe am Liebsten an den Nagel gehängt.
Das ist nun nichts, worüber man als Profimusiker gerne berichtet, aber ich habe euch ja auf diesem Blog versprochen grundehrlich zu sein. Ich kann euch nur sagen, es geht JEDEM so – und in meinem gerade beschriebenen Fall, fühlte ich mich mal wieder wirklich absolut schrecklich 😉
Das Spielen strengte mich furchtbar an, kein Rohr entwickelte sich wie geplant, überall war es heiß und stickig, nach keinem Konzert war ich auch nur ansatzweise zufrieden. Eigentlich weiß ich, dass meine Oboe jedes Jahr, wenn das Wetter umschwenkt, ein paar Eskapaden für mich bereit hält – aber ich vergesse das natürlich gerne.
Nach einigen Tagen der Frustration ging ich dann also zum Oboenbauer – danach wurde es besser. Aber nicht schlagartig. Ihr Oboisten kennt das, aber jedes Mal fasziniert es mich aufs Neue: ein paar Tage oder Wochen der Quälerei, dann der Oboenbauer, die Hoffnung auf Besserung, die aber nicht immer schlagartig einsetzt. Wie kann das sein?
Nun, man gewöhnt sich an das Gefühl der Schwere, die Anstrengung – und auch an die Frustration. Das muss man sich manchmal erst wieder abtrainieren.
Manchmal ist natürlich auch einfach nur wortwörtlich eine Schraube locker. Dann wird ein bisschen gedreht und eingestellt und die Welt ist schlagartig wieder in Ordnung.
Ein Lied von lockeren Achsen.
Zwei Wochen später, mein Gemütszustand und meine Oboe hatten sich mittlerweile wieder stabilisiert, habe ich beim Unterrichten innerhalb eines Tages an unterschiedlichen Instrumenten drei lockere Achsen festgedreht. Achsen sind die langen Stäbe, die die einzelnen Klappen und Verbindungen der Oboe zusammenhalten. Sie drehen sich vorzugsweise bei hohen Temperaturschwankungen heraus, manchmal aber auch einfach so. Ich erklärte meinen Schülern lässig, dass das normal sei, man könne sie einfach wieder zurück schrauben und alles sei gut, sowas passiere halt mal und sei auch gar nicht so selten. Jaja.
Dann fuhr ich in die Nähe von Köln für ein Konzert und einen Tag zuvor ging beim Üben meine dritte Oktave nicht mehr. Gestresst habe ich mich darauf eingestellt, mein Konzert ohne dritte Oktave zu spielen – bis mir schließlich eine heraus gedrehte Achse förmlich entgegen fiel. Ich habe die Achse wieder fest geschraubt und über mich selbst gelacht. Ich hatte bis dahin ganz offensichtlich nichts aus meinen eignen Worten gelernt.
Die Oboe: ein musikalisches Risiko
Was ist das bloß für ein Instrument? Das glaubt einem doch kein Mensch…
Ich muss, besonders wenn es um Situationen auf der Bühne geht, immer an die Opernsänger denken. Es ist mir früher häufig passiert, dass ich in der Oper saß und folgende Ansage kam: „Sänger XY ist heute erkältet/stimmlich angeschlagen/krank.“. Sozusagen die Vorab-Entschuldigung für die darauf folgende Momentaufnahme.
Ich verstehe natürlich absolut, dass die Stimme eines Opernsängers sehr abhängig von der Gesundheit des Körpers ist. Aber ich habe mir dann immer vorgestellt, wie es wäre, wenn wir Oboisten im Orchestergraben aufstehen würden: „Heute wird es bei mir leider nicht so gut wie sonst, denn mein Rohr ist schlecht/an meiner Oboe ist eine Schraube locker/mein Instrument hat einen Riss/die Holzlieferung war zu weich/das Wetter bringt mein Instrument durcheinander/ich fühle mich heute irgendwie angeschlagen.“
Ach, diese Liste ließe sich unendlich erweitern.
Aber als Oboist lernt man schnell: auch wenn das Instrument oder das Rohr Schuld haben, darüber sprechen darf man eigentlich nicht. Zumindest ganz sicher nicht mit dem Publikum.
Deshalb tun wir das jetzt hier. Ein für allemal: Oboe spielen ist ein großes musikalisches Risiko und manchmal kann man sich einfach nur die Haare raufen – und das ist völlig normal.
Aber ganz im Ernst: es ist mir ungeheuer wichtig, dass meine Schüler oder deren Eltern sich vor der Entscheidung für dieses Instrument darüber im Klaren sind, dass unser Instrument eben nicht „normal“ ist. Es gibt Monate, da renne ich viermal zum Oboenbauer. An unserer komplizierten Mechanik kann sich einfach viel verstellen – und das passiert oft wie von Zauberhand ganz von selbst.
Und nun? Genießen!
Was das Einstellen einer Oboe betrifft, stoße ich zugegeben sehr schnell an meine Grenzen. Ich kann Achsen wieder rein drehen, Federn festklemmen und einige Schrauben, von denen ich sicher weiß, was sie verändern, bewegen. Ansonsten lasse ich persönlich, wie viele Oboisten, die Finger von der Einstellung. Denn die ist eine weitere Kunst für sich. Man kann Einstellungskurse besuchen, wenn man Interesse hat zu lernen, wie man sich im Fall des Falles selbst helfen kann. Eine gute Sache, wie ich finde, denn als Oboisten wissen wir nur zu gut: Dieser Fall kommt ganz bestimmt 😉
Alle von euch die hier mitlesen und noch nicht Oboe spielen fragen sich jetzt wahrscheinlich, warum sie es tun sollten, lest doch dazu mal diesen Blogbeitrag.
Im Übrigen ist mir vollkommen klar, dass das alles ganz schöne Luxusprobleme sind. Ihr solltet euer Leben und die Musik auf jeden Fall genießen – auch wenn bei eurer Oboe mal wieder eine Schraube locker ist 😉
Vielen Dank für diesen Blogbeitrag. Ich finde es beweist echte Größe wenn du als Profi offen und ehrlich von deinen Zweifeln und Schwierigkeiten berichtest. Für mich als Oboen-Schüler ist das sehr erleichternd und ermutigend. Wenn etwas nicht klappt, gehe ich immer davon aus, dass ich zuwenig geübt habe und eben ein Anfänger bin. Wirklich nur in den seltensten Fällen gebe ich dem Material die Schuld 🙂
Ich vermute, dass viele Künstler bzw. Musiker die von dir angesprochenen Probleme kennen. Durch den Druck zur Perfektion, zu schneller, besser weiter wird das vielleicht sogar noch verstärkt. Ich frage mich, ob das zwangsweise so sein muss?
Transportiert der Musiker nicht noch viel mehr als nur perfekte Töne? Macht nicht gerade die Persönlichkeit, die momentane Stimmung, die persönliche Einstellung eine ganze Menge aus?
Und nicht zu vergessen: das Publikum: in welcher Verfassung sind die Zuhörer? Sind sie in der Lage aufzunehmen was vom Künstler kommt? Entsteht hier ein Wechselspiel, eine gegenseitige Schwingung, die Konzerte so einzigartig berührend machen können? Könnte nicht sein, dass hier gerade das Unperfekte, das Persönliche, das Menschliche etwas ganz besonderes darstellt?
Dein Beitrag hat mich daran erinnert, dass auch hinter künstlerischen Höchstleistungen sensible Menschen stehen, die mit allen möglichen Schwierigkeiten kämpfen, die trotzdem nicht aufgeben und uns wunderbaren Kunstgenuss erlebbar machen. Danke.
Lieber Thomas, du kannst dir sicher sein, dass tatsächlich alle (wirklich alle) Künstler und Musiker diese Probleme kennen. Das gebe ich dir hiermit schriftlich – und ich erlaube dir hiermit ebenfalls, dem Material öfter die Schuld zu geben 😉
Hallo,
ich finde Deinen Kommentar sehr ehrlich.
Vor 30 Jahren habe ich mich gegen eine Profi-Oboenkarriere entschieden und es weiter als Hobby betrieben. Alles was Du beschreibst, hätte ich auch schon. Als meine drei Kinder nacheinander kamen, habe ich meine Oboe viele Jahre im Kasten liegen gelassen. Nach einer Generalüberholung ging’s wieder los. Jetzt spiele ich demnächst ein Solostück und hadere plötzlich mit der 3. Oktav. Deine Bloqs geben mir Mut.
Ich wünsche Dir weiterhin viel Erfolg und Spass am Oboe spielen.
Liebe Christine, es freut mich sehr zu wissen, dass meine Texte dir Mut geben – ich wünsche dir viel Freude bei deinem kommenden Konzert und drücke dir fest die Daumen, dass die dritte Oktave sich benimmt 🙂
Ganz liebe Grüße, Miriam